Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Experten
in der Corona-Krise

Politik, Massenmedien und Bevölkerung wünschen sich schnelle und einfache «Wahrheiten», auch dann, wenn die Fakten schlecht zu erkennen, komplex und schwierig zu verstehen sind. Besonders gross ist dieses Bedürfnis in Krisenzeiten.

Die Corona-Krise hat die These erneut bestätigt.

Wer liefert schnelle und einfache «Wahrheiten»? Experten.

Sie werden in Krisenzeiten häufig von Medien und Politik gesucht. Bevorzugt am Fernsehen und in der Tagespresse klären sie das verängstigte Publikum schnell und einfach über Ursachen und Folgen der Krise auf. Je nachdem sind die Ängste danach grösser oder kleiner.

Störend ist, dass diese Experten oft als Wissenschafter vorgestellt werden.

Den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit könnten Expertenaussagen indessen nur dann beanspruchen, wenn

  • sie auf intersubjektiv nachvollziehbaren Beobachtungen beruhen,
  • die Beobachtungen öffentlich transparent gemacht werden,
  • keine Einkommensinteressen des Experten damit verknüpft sind und
  • die Aussagen der freien Kritik der globalen Wissensgemeinschaft offen stehen.

Diese Konditionen sind selten erfüllt, wenn es darum geht, der Bevölkerung schnell und unkompliziert «Wahrheiten» abzuliefern.

Einige Virologen haben in der Corona-Krise ihre eigene wissenschaftliche Reputation und diejenige ihrer naturwissenschaftlichen Disziplin mit Aussagen beschädigt, die auf keinen nachvollziehbaren und überprüfbaren Beobachtungen beruhten.

Dass man, obwohl Experte, über Ursachen und Folgen eigentlich wenig bis nichts weiss, ist im Rampenlicht der Fernsehkameras schwer zuzugeben. Schliesslich wird man als Experte gerufen und muss dem dringenden allgemeinen Bedürfnis nach «Wahrheiten» Rechnung tragen. Erfüllt der Experte diesen Anspruch nicht, wird er nie mehr angefragt. Das ist die Krux.

Dementsprechend erhält das Publikum auch «Wahrheiten» präsentiert, über die der Experte nach wissenschaftlichen Kriterien nichts weiss. Besonders schlimm wird es dann, wenn im Hintergrund noch persönliche Einkommensinteressen versteckt sind.

Dass Naturwissenschafter in diesen Modus verfallen, mag eine Ausnahmeerscheinung sein, die der Corona-Pandemie geschuldet ist.

Anders verhält es sich bei den Experten aus den Disziplinen Ökonomie und Soziologie, die sich regelmässig medial äussern. Beide Fächer haben an sich schon Probleme, ihre Aussagen mit nachvollziehbaren und überprüfbaren Beobachtungen zu begründen. Vieles bleibt Theorie und nicht selten schlicht Ideologie und wird gegen guten Lohn als «Wahrheit» verbreitet.

Zur «Wahrheit» der Sozialwissenschaften gehört, dass sie voller Werturteile sind und wissenschaftliche Erkenntnis nur begrenzt ermöglichen. Daher wäre in den Auftritten aus diesen Disziplinen Bescheidenheit angesagt.

Die oft sehr persönlichen Meinungen und Mutmassungen, die hinter solchen Expertenaussagen stecken, müssten transparent gemacht werden. Oft ist das Gegenteil der Fall, die Aussagen erhalten einen wissenschaftlichen Anstrich.

Wissenschaft wird mit Steuergeldern alimentiert. Die Öffentlichkeit darf daher erwarten, dass akademische Experten in ihren öffentlichen Aussagen die anerkannten Kriterien der Wissenschaftlichkeit beachten. Dazu gehört vor allem eines: mitzuteilen, dass man nichts weiss, wenn man nichts weiss.

Akademische Experten, welche die Kriterien der Wissenschaftlichkeit in ihren Auftritten beiseiteschieben, können in der Gesellschaft einigen Schaden anrichten, wenn die Bevölkerung ihre «Wahrheiten» als bare Münze nimmt. Ausserdem schaden sie der Glaubwürdigkeit der eigenen Profession.

Wer sich als Wissenschafter versteht, muss den Bestellern der Expertise aus Medien und Politik klarmachen, dass die Wissenschaft keine schnellen und keine einfachen «Wahrheiten» liefern kann, vor allem nicht in komplexen Krisensituationen.

Deswegen müssen sich die Experten nicht schämen: schon der Sozialwissenschafter Sokrates sagte seinem Publikum vor 2400 Jahren, dass er kein wirkliches, zweifelsfreies Wissen habe.

„Follow the Science“ als politische Handlungsmaxime macht nur dort Sinn, wo tatsächlich Wissenschaft produziert wird. Als andere ist für die Allgemeinheit brandgefährlich.

10.05.2020

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